Mittwoch, 7. Januar 2004
Pressemitteilung: Eroberung des Thüringer Landtags. Nach Ignoranz nun endlich Konfrontation.
Innerhalb des demokratisch beschlossenen aktiven Streiks, in dem sich die Weimarer Studierenden seit dem 10.12.2003 befinden, haben die von ihnen aufgestellten Forderungen heute endlich ihren Weg in den Thüringer Landtag gefunden.

Hiermit findet die nun bereits fast einen Monat andauernde politische Ignoranz, die einen Streik, konkrete Missstände sowie Forderungen einer nicht geringen Zahl der Thüringer BürgerInnen betraf, ihr vorläufig konstruktives Ende.

In einem selbstbewussten Akt verschaffte sich eine Delegation aus sieben Weimarer Studierenden Zugang zur stattfindenden nicht öffentlichen Fraktionssitzung der CDU. „Entschuldigen Sie, es gibt hier einige Verwirrung. Was wollen Sie denn hier?“, wurden die plötzlich im Sitzungsraum stehenden, fein gekleideten Streikenden gefragt. „Wir wurden von Frau Schipanski eingeladen, hier und heute Ihnen und ihr etwas zu überreichen“, antworteten die friedlichen Störenfriede keck – und logen damit prompt; doch was sollten sie tun? Daraufhin wurden sie vom Fraktionsvorsitzenden angekündigt und eröffneten mit Ihrer Kritik am Notstand der Thüringer Universitäten die Sitzung der Landtagsfraktion. Sie überreichten ihren politischen Repräsentanten ihre bildungspolitische „Abrechnung 2004“: Ein von ihnen entworfenes „Schwarzbuch“ der Zu- und Missstände an der Weimarer Bauhaus-Universität.

Frau Ministerin Schipanski, die erst kurz nach der Ansprache der Studierenden in der Fraktionssitzung erschien, lud diese prompt zu einem mehr als einstündigen persönlichen Gespräch, ließ sich bei ihrer Fraktion entschuldigen und stellte sich der Kritik der studentischen Delegation.

Sie zeigte Verständnis für das Tun und Handeln der Weimarer Studierenden und war angetan von der in der doch recht kurzen Streikzeit entstandenen konstruktiven inhaltlichen Debatte sowie und vor allem den fundierten Argumenten und der, wie sie meinte, großteils berechtigten Kritik der Studierenden. Zwar seien Thüringer Hochschulen für Deutschland noch überdurchschnittlich „gut“. Doch auch sie seien von Not- und Missständen betroffen wie weiterhin bedroht, hätten Probleme, die dringend gelöst werden müssten und sollten.

Die Studierenden einigten sich mit Frau Schipanski auf folgende Vorgehensweise:

1. Da die bildungspolitische Verantwortung bei vielen verschiedenen Entscheidungsträgern zu suchen ist, muss und soll ein regelmäßiges „Round Table“-Gespräch mit allen Betroffenen (Studierende, Ministerin, wissenschaftspolitische Sprecher der Fraktionen aus Land wie Bund als auch und vor allem den Rektoren der einzelnen Universitäten) etabliert werden.
2. Da die Erhebung von Langzeitstudiengebühren zu großen Teilen Studierende trifft, die ihr Langzeitstudium nicht selbst zu verschulden haben, arbeiten die Studierenden Frau Ministerin zusätzlich notwendige Kriterien für die Erhebung solcher Gebührung zu, die Frau Ministerin prüfen lassen und nach Möglichkeit durchsetzen wird. Das momentane Prozedere hier reicht bei weitem nicht aus – und ist alles andere als gerecht.
Generell vertreten die Studierenden die Auffassung, dass Langzeitstudiengebühren a) sinnlos und b) asozial sind - und bemühen sich, ihre Argumente parteiübergreifend zu multiplizieren wie vertreten, um auch und gerade ihren politischen Repräsentanten dabei behilflich zu sein, der tatsächlichen studentischen Situation in Thüringen gewahr zu werden. Denn: Den Funktionären wie Medien fehlen, das wissen die Studierenden nun, einfach die Fakten, um die Debatte sozial gerecht und hintergründig führen zu können.
3. Frau Schipanski begrüßte und befürwortete das studentische Engagement. Sie lobte die Studierenden dafür, dass sie nicht einfach nur streikten, sondern die Zeit des Streiks bisher so nutzten, dass man mit diesen nunmehr auf gleicher Ebene inhaltlich diskutieren und argumentieren könne. Frau Schipanski befürwortete die für den 14. Januar 2004 anberaumte studentische Großdemonstration vor der Thüringer Staatskanzlei wider die aktuelle Bildungspolitik – und sagte einen eigenen Redebeitrag zu. Weiterhin sprach sie sich gegen mögliche Repressalien wider engagierte Studierende seitens deren Universitäten und für eine Befürwortung der Demonstration am 14.1. durch die einzelnen Rektoren aus.

In ihrer „Abrechnung 2004“, die auch den Fraktionen von SPD und PDS überreicht wurde, werden durch die Weimarer Studierenden die aktuellen Defizite und Missstände an der Bauhaus-Universität benannt. Enthalten sind weiterhin ein Lagebericht zur momentanen Situation an dieser Hochschule während des Streiks, der beschlossene Forderungskatalog der Studierenden, eine aufgestellte Prognose zu einer politisch provozierten irreparablen Schädigung des Bildungssystems sowie eine Einladung an die politisch Verantwortlichen, den Weimarer Studierenden auf einer „Anhörung“ am 21. Januar 2004 Rede und Antwort bezüglich ihrer Fragen und Probleme zu stehen. Parteiübergreifend nahmen die Politiker diese Einladung dankend an.

Unverständnis erntete die Delegation bei anderen CDU-Abgeordneten. So sprach sich nicht nur der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jörg Schwäblein, für eine „Amerikanisierung deutscher Bildung“ und die Einführung allgemeiner Studiengebühren aus. „Wer so etwas fordert, fordert qualitativ schlechte Bildung für alle bis auf wenige - und fördert die Realisierung einer Zwei-Klassengesellschaft, in der ein Großteil der Bürger mehrere Niedriglohnjobs benötigt, um seine Kinder überhaupt noch zur Schule schicken zu können. Wer so etwas fordert steht politisch weder zur Debatte noch für Studierende überhaupt zur Wahl“, meinte Jens Wernicke, Mitglied des Streikrates der Weimarer Studierenden.