Montag, 5. Januar 2004
Pressemitteilung: Studierende stellen Kanzler zur Rede
Pressemitteilung

Studierende stellen Kanzler zur Rede
„Wenn Ihr über Bildung redet, reden wir mit!“

Kurzfassung: Elite-Uni macht dumm. Sozialdemokraten verhalten sich unsozial. Probleme werden nicht bearbeitet oder gelöst, sondern ausgebaut oder ignoriert.

Während sich das SPD-Präsidium und der Kanzler in Weimar zur einer Klausurtagung zu vermeintlicher „Innovationspolitik“ treffen, sind auch die Weimarer Studierenden innovativ: Sie befinden sich nun bereits seit fast einem Monat im Streik. Und protestieren durch kreative Aktionen, die stets von Inhalten und politischen Vorschlägen begleitet werden, gegen die immer verheerender werdenden hochschulpolitischen Bedingungen in der Bundesrepublik.
Es kann und darf nicht angehen, dass auf immer mehr Studierende immer weniger Lehrende und wissenschaftliche Mitarbeiter kommen. Dass Universitäts-Veranstaltungen nicht nur in Thüringen teilweise mit mehreren 100% Überlast stattfinden müssen und sollen. Dass Studierende nun nach ihrem so genannten „ersten berufsqualifizierenden Abschluss“, dem Bachelor, zu großen Teilen schlecht qualifiziert und um die Chance einer qualitativ höherwertigen Bildung beraubt, aus den Unis gejagt werden. Es kann nicht angehen, dass die öffentliche Debatte um Bildungsfinanzierung von Institutionen wie dem Centrum für Hochschulentwicklung, das sich dogmatisch zu den Interessen der Wirtschaft bekennt und Fehlinformationen multipliziert, dominiert wird (Pressemitteilung zum „Centrum für Hochschulbetrug“ unter: http://www.fzs-online.org/article/750/de/?PHPSESSID=2efe7c9284f017cf48ea4b0e96391e36). Es kann und darf nicht sein, dass Politiker, die sich als „Sozial“-Demokraten betiteln, nun einen Diskurs über vermeintliche Eliten (Pressemitteilung zum „Konzeptionslosen Prestigeprojekt Elite-Universität unter: http://www.fzs-online.org/article/775/de/) vom Zaun brechen, welcher einzig dafür sorgt, dass die Bildung für alle angeblich nicht „elitären“ Bundesbürger weiter vernachlässigt wird. Fakt ist und bleibt: Den Weg in eine Wissensgesellschaft erreicht man nicht, indem man das Bildungsniveau insgesamt senkt. Und Fakt ist auch: Eben dies geschieht seit Jahren in der Bundesrepublik.

Die sich im „Ausstand der Lehre“ befindlichen Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar organisieren momentan einen eigenen, selbstbestimmten und gesellschaftskritischen Lehrbetrieb. Sie werden heute vorm Hotel Elefant in Weimar eine Aktion unter dem Motto „Bildung im Arsch“ durchführen, um der Politik einmal zu zeigen, dass ständige Scheinlösungen und -debatten für niemanden eine Hilfe sind. Mehrere Dutzend Studierende werden vor dem Hotel, in welchem das SPD-Präsidium und der Kanzler tagen, liegen und Fähnchen, auf denen „Bildung“ steht zwischen ihren Gesäßmuskeln halten. Parallel hierzu werden Flyer mit Hintergrundinformationen, Kritik an den aktuellen politischen Debatten sowie und vor allem den Forderungen der Weimarer Studierenden (siehe Ende dieser Mail) an die Passanten verteilt.

Unter dem Motto "2 Millionen Studierende warten sehnsüchtig auf ihre Elite-Universität“ umtanzen und bejubeln morgen ab 15:00 Uhr auf dem Beethovenplatz die Weimarer Studierenden während die SPD-Spitze über Elite berät ihren güldenen „Elitestudenten“. Dieser hat es, aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammend, als einziger geschafft, heutzutage noch eine vernünftige universitäre Ausbildung zu erhalten. Und wird am Ende dieser Protestaktion der SPD-Spitze als Geschenk überreicht.
Die Studierenden, welche die Hintergrundinformationen zu dieser Aktion verteilen, tun dies mit verklebtem Mund. „Immer entscheidet Ihr über uns und fragt nicht einmal, was wir wollen und wie dreckig es uns eigentlich geht - und das nennt sich dann Demokratie“, meint eine Studierende. So kann und soll es nicht weitergehen. „Wenn Ihr über Bildung redet, reden wir mit!“ titeln daher die Flyer und Plakate zu dieser Aktion.

Am 14. Januar ist eine Thüringenweite Demonstration vor der Erfurter Staatskanzlei geplant. Alle Thüringer Studierenden wollen hier ihren Problemen Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen. Die Thüringer Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski (CDU) hat bereits ihrem Kommen sowie einem Redebeitrag auf der Kundgebung vor der Staatskanzlei zugesagt.

Vom 30. Januar bis 1. Februar 2004 findet eine Bundesbildungstagung (nähere Informationen unter: http://www.fzs-online.org/article/751/de/) aller deutschen Studierendenvertretungen und an Bildungspolitik Interessierten in Frankfurt am Main statt. Spätestens hier soll die vermeintliche Disharmonie in den Forderungen und Vorstellungen der deutschen Studierenden durchbrochen – und eine einheitliche „Front“ wider die Politik des Bildungs- und Sozialabbaus formuliert und etabliert werden.

Die Streikhomepage der Studierendenschaft mit aktuellen Daten, Forderungen und Thesen ereichen Sie unter http://weimarstreikt.blogger.de .

Forderungskatalog der Studierenden

• Wir fordern die sofortige Nachbesserung des Thüringer Hochschulpaktes, um der weiteren Verschlechterung der Qualität von Lehre und Forschung entgegenzuwirken. Steigende Studierendenzahlen, Tariferhöhungen und Inflation müssen bei der Mittelzuteilung berücksichtigt werden.
• Wir fordern die Landesregierung auf, die Zielvorgaben der Bundesregierung umzusetzen und mindestens 40% eines Jahrgangs eine Hochschulausbildung zu ermöglichen. Darüber hinaus muss im Rahmen der sozialen Entwicklung der Gesellschaft, die den Anspruch der Chancengerechtigkeit hat, der Zugang zu Bildung für Menschen aus sozial schwächer gestellten Verhältnissen gesichert sein.
• Unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fordern wir das Verbot jeglicher Art von Studiengebühren.
• Wir fordern den selbstbestimmten Zugang zu Bildung. JedeR Bachelor-AbsolventIn soll einen Rechtsanspruch auf den Zugang zum Masterstudiengang haben.
• Wir fordern, Studiengänge nicht nach ihren scheinbaren ökonomischen Nutzen zu beurteilen und wissenschafts- wie gesellschaftskritisches Studieren zu ermöglichen anstatt Studierende zu Konsumenten zu degradieren.
• Wir wehren uns gegen die vermeintliche Profilbildung der Hochschulen des Landes, wenn sie zu Schließungen und Vereinheitlichung von Standorten und Abbau von Vielfalt führt.
• Wir fordern die fächerspezifische Mittelsicherung eines jeden Studienplatzes, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu gewährleisten.
• Wir fordern die umfassende Demokratisierung der Hochschule. Dies beinhaltet paritätische Mitbestimmungsregelungen im Entscheidungsprozess für die betroffenen Gruppen.

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