Mittwoch, 21. Januar 2004
Pressemitteilung: Anhörung der politisch Verantwortlichen
Heute, am 21. Januar 2004, fand in der Mensa am Park der Bauhaus-Universität vor ca. 800 anwesenden Studierenden die lange geplante „Anhörung der politisch Verantwortlichen“ statt.
In zwei separaten Diskussionsrunden stellten sich nacheinander erst die Wissenschaftsministerin Thüringens, 4 Rektoren und der Geschäftsführer des Studentenwerkes Jena-Weimar – und anschließend die wissenschaftspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen, der Dekan der Weimarer Medienfakultät und Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi), der studentischen Meinung und dem studentischen Protest.
Es wurde konträr diskutiert und argumentiert, in einem jedoch waren sich alle Anwesenden einig: Es ist an der Zeit, politische Scheuklappen abzulegen und gemeinsam die Nachbesserung des Thüringer Hochschulpaktes durch den Landtag zu forcieren. Die Thüringer Hochschulen haben Probleme, die keinesfalls nur an den Hochschulen selbst gelöst werden können.
„Meine Hochschule kann sonst in 2 Jahren dicht machen“, sagte Michael Schadeck vom StuRa der Technischen Universität Ilmenau. „Hören Sie also endlich auf, zu behaupten, alles wäre toll und den Schwarzen Peter stets nur weiter zu schieben. Seit 1975 ist keine deutsche Hochschule mehr ausfinanziert gewesen. Daran sind Sie alle zu gleichen Teilen schuld!“ Preisbereinigt sanken von 1975 bis heute die Ausgaben pro deutschem Studierenden auf ein Drittel der damaligen Aufwendungen ab. (Hintergrundinformationen unter: http://www.stura.tu-ilmenau.de/denkfabrik/daten/Heft_AG_HoPo_GEW_3.12.2003.pdf)
Ende Januar wird von der PDS ein Änderungsantrag zum Thüringer Hochschulpakt im Landtag eingebracht werden. Sowohl Prof. Dr. Jens Goebel (CDU) als auch Martin Döring (SPD) versicherten den anwesenden Studierenden, dass dieser Antrag in der Sache von allen Parteien nur gut geheißen und unterstützt werden kann.

Folgende mündliche Aussagen wurden verbindlich gemacht – und sind seitens der Studierendenschaft auf Video dokumentiert worden:

1. Block

„Das Hochschulsystem in Deutschland ist chronisch unterfinanziert. Durch die Annahme in den 90er Jahren, dass die Studentenzahlen sinken würden, ist so eine 150% Überlastung entstanden“, sagte der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität. „Wir reagieren auf das Haushaltsdefizit des Landes nach einem Zufallsprinzip“, sagte der Rektor der Bauhaus-Universität Weimar. „Man muss mehr tun als der Hochschulpakt dies momentan tut“, sagte der Rektor der Hochschule für Musik. „Die neuen Bundesländer hatten zu allem die Chance und haben sie verpasst. Etwas weniger West und etwas mehr Ost würde uns allen gut tun“, sagte der Rektor der Fachhochschule Nordhausen. Das Studentenwerk Jena-Weimar machte deutlich, dass auch die Kürzungen des Landes am Studentenwerk nur auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen werden könnten und dies weiterhin wohl auch zunehmend werden: Die Essenspreise werden steigen, die Semesterbeiträge werden erhöht usw. usf. Und dies alles in einem Kontext, in welchem die Qualität der Lehre kontinuierlich sinkt. „Es ist aber kein Geld für die Nachbesserung des Thüringer Hochschulpaktes da. Die Bundesregierung ist an allem schuld“, sagte Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski. Trotzdem wünsche sie sich für die deutschen Universitäten, dass diese in der internationalen ersten Liga mitspielen können. Elite-Universitäten hält sie für eine „blödsinnige Diskussion“. „Im Moment ist es an der Bauhaus-Universität Weimar ganz besonders eng. Reale Probleme sind deutlich ablesbar“, sagte der Rektor der Bauhaus-Universität Weimar. Er begrüßte die studentischen Aktivitäten und wünschte sich „langjährige Umwälzungsprozesse“. „Es gibt im Moment Probleme. Das hat niemand geleugnet“, bekannt Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski. „Wer behauptet, die Thüringer Rektoren sähen die Probleme an ihren Universitäten nicht oder würden gegen diese nicht ebenso wie die Studierenden protestieren, der irrt. Ich habe das immer getan“, sagte der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Ich war nie in einer Partei und bin froh darüber. Das parteipolitische Geklüngel muss endlich ein Ende haben. Die Leute müssen erkennen, dass es um unsere jungen Leute geht“, sagte der Rektor der Hochschule für Musik. „Mehr Geld muss rausgerückt werden.“ „Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst darum sage ich auch, wie es um die Bildung in Deutschland steht. Ich setze mich für mehr Geld an Schulen und Hochschulen in Thüringen ein“, sagte der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Frau Schipanski erwiderte er: „Die interne Hochschulreform kann es nicht sein.“ Und: „Aus den deutschen Hochschulen ist mit Teilreformen wohl kaum noch etwas herauszuholen. Wir habe keine Zeit mehr zu verlieren.“ „Es wird notwendig, in die Politik zu wechseln um in den Gremien mitzubestimmen“, sagte der Rektor der Bauhaus-Universität. „Studiengebühren sind unter den momentanen Bedingungen nur eines: Kontraproduktiv.“ „Es ist fünf vor Zwölf. Wir wären schlechte Rektoren, rückten wir die momentane bildungspolitische Debatte nicht in unseren Blickpunkt. Wir müssen um die knappen Gelder kämpfen. Reformprozesse sind fast vollständig ausgereizt. Unsere Ausbildung endet erst dann, wenn der Studierende im Arbeitsleben untergekommen ist“, sagte der Rektor der Fachhochschule Nordhausen. „Außer unseren Köpfen haben wir in Deutschland kaum etwas. Rohstoffe jedenfalls nicht“, sagte der Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Der Thüringer Hochschulpakt kann uns nicht zufrieden stellen.“

2. Block

„Thüringen muss sehr viel für die Bildung tun“, sagte Jens Goebel. „Wir müssen richtig gewichten. Der Hochschulpakt ist zu unflexibel. So sind wir nicht zukunftsfähig“, sagte Karin Kaschuba. „6 Millionen wurden in eine Werbekampagne für die Denkfabrik investiert, die doch lieber nicht in Werbung sondern in Denken hätten investiert werden sollen.“ „Die SPD lehnt grundsätzlich jedwede Art von Studiengebühren ab“, sagte Martin Döring. „Auch und gerade die soeben eingeführten Langzeitstudiengebühren gehören wieder abgeschafft.“ „Studiengebühren sind für die Hochschule zwar attraktive Einnahmen. Sie stellen jedoch eine unmögliche Hypothek für Studierende als auch und vor allem ein Nullsummenspiel dar“, sagte Matthias Maier. „Wenn sonst nichts mehr geht, tritt man die Elite-Debatte los. Das war in der deutschen Geschichte stets der Fall. Eine Ersatz- und Ablenkungsdebatte“, sagte Torsten Bultmann. „Elite ist eine Mogelpackung. Auslese und Aufteilung von Menschen – sonst nichts.“ „Das Land ist in der Pflicht. Denn der Hochschulpakt reicht nicht aus. Wir schneiden uns sonst nur ins eigene Fleisch“, sagte Martin Döring. „Der Hochschulpakt ist ein wahnsinnig enges Korsett. Es zeigt sich: Wenn wir nicht sofort etwas tun, müssen wir in 10 Jahren Studierende bezahlen, damit sie an unsere Hochschulen kommen. Politiker müssen endlich Werteentscheidungen treffen. Es ist viel über Reformen gesprochen worden. Es wurden jedoch nur wenige durchgesetzt. Und das ist nicht nur Uni-Sache!“, sagte Matthias Maier. „Der Elitediskurs ist nichts anderes als eine inszenierte Reform. Durch Einführung zweistufiger Studienabschlüsse wird beim momentanen Stand der Debatte die soziale Selektion nur noch weiter verschärft“, sagte Torsten Bultmann. „Das Land hat auch Forschungsgelder für die Hochschulen gekürzt. So etwas gehört sofort gestoppt!“, sagte Karin Kaschuba. „Die PDS ist grundsätzlich gegen Studiengebühren und plädiert für Chancengerechtigkeit.“ „Die Unternehmenssteuer hat die Ungerechtigkeit verschoben, das gebe ich zu“, sagte Jens Goebel. „Die volkswirtschaftliche Milchmädchenrechnung stimmt: Erst muss die Bildung kommen, dann folgt der Wirtschaftsaufschwung“, sagte Martin Döring. „Es ist schlicht falsch, dass nicht genügend Geld im Landeshaushalt vorhanden ist. Umverteilt werden kann beispielsweise vom Nordthüringer Straßenbau in die Bildung. Es ist alles eine Sache, wie man seine Prioritäten setzt“, sagte Karin Kaschuba. „Mann kann nicht eine rückläufige staatliche Hochschulfinanzierung durch private Mittel ausgleichen. Und erst recht kein Plus dadurch erreichen. Das Gegenteil ist der Fall: Einer Erhöhung staatlicher Zuschüsse folgte – auch uns insbesondere in Amerika – stets eine Steigerung der privaten Fördergelder“, sagte Torsten Bultmann. „Mir liegt die Weiterexistenz aller Thüringer Hochschulen am Herzen. Das Geld des Hochschulpaktes reicht wirklich nicht aus“, sagte Jens Goebel. „Viel Erfolg noch mit dem öffentlichen Diskurs. Dieser wird auch der Landesregierung helfen, die Potentiale voll auszuschöpfen“, sagte Karin Kaschuba. Und Martin Döring stimmte ihr zu.

„Wird die CDU nicht über den Hochschulpakt verhandeln, kommen wir eben wieder in den Landtag“, sagte ein anwesender Student. „Gerne protestiere ich persönlich auch auf ihrem Schreibtisch. Von morgens bis abends. Und jeden Tag.“ „Wie sind in einem Verteilungskampf“, äußerte sich ein weiterer Studierender. „Die Wahl sollte als Chance und Drohung gesehen werden - für diejenigen, die um ihre Stimmen zu fürchten haben.“

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